Oft fungiere ich als Moderator von Diskussionsgruppen mit Fachkräften, die für unser innovatives Thema gut qualifiziert sind. Mir ist aufgefallen, dass es besonders jüngeren Mitarbeitern oft schwerfällt, sich einem Problem vom Großen zum Kleinen zu nähern. Noch bevor wir den äußeren Rahmen für unsere Aufgabe festgelegt haben, verirren wir uns in Details, die vielleicht gar nicht zum Tragen kommen. Liegt es vielleicht an der Art, wie wir denken? Wir verlieren den Fokus und verlassen damit den aktuellen Kontext. Es fällt uns schwer eine Gesprächsstruktur aufzubauen, an der wir uns gemeinsam entlang hangeln können.

Ist das vielleicht ein allgemeines Problem unserer informationsintensiven, schnelllebigen Zeit? Beschäftigen wir uns mit zu vielen Details und verlieren dadurch den Blick für das Wesentliche?

Denken

Von Daniel Kahneman haben wir gelernt, dass wir mit einem schnellen und einem langsamen Denken ausgestattet sind.

Das unbewusste, schelle Denken ist multitaskingfähig, hat aber eine schlechte Qualität. Dagegen gestattet das langsame bewusste Denken nur einen Gedanken (Fokusdenken), arbeitet aber deutlich besser.

Nehmen wir oft kurze Informationen ohne ausreichenden Kontext und Weiterverarbeitung zu uns, trainieren wir vorwiegend das unbewusste Denken. Versuchen wir den Hintergrund zu einer Nachricht zu recherchieren, nutzen Suchmaschine oder fragen gezielt eine AI, dann wird das bewusste Denken geschult.

Gute Entscheidungsfähigkeit, Konzentration (Fokus) und Kontexterfassung hängen vom bewussten Denken ab.

Ein weiteres Problem beim Verarbeiten von vielen emotionalen Meldungen ist das Überschreiben von schon gelerntem und fundamentalem Wissen. Bedauerlicherweise ist „Social-Media“ dafür konzipiert, den Anwender möglichst beschäftigt zu halten. Es trainiert uns in seine profitable Richtung. Unsere Gedanken, Gefühle und Motivationen werden geformt von leistungsstarken Technologien, die mit uns Geld verdienen wollen.

Rückentwicklung

Da stellt sich die Frage, ob wir uns als Informationsgesellschaft vielleicht zurück entwickeln.

Studien haben gezeigt, dass die Informations-Nutzung stark von der Herkunft der Person und den bereits bestehenden kognitiven Fähigkeiten abhängig ist.

Zurzeit scheint es noch keine konkrete Studie zu geben, die aufzeigt, wieviel Prozent einer Bevölkerung eine versierte Internet-Nutzung betreibt. Meine Vermutung ist, dass sie nur einen kleinen Teil darstellen, worauf auch eine Umfrage hindeutet. Das bedeutet dann ein noch stärkeres Auseinanderdriften unserer Gesellschaft.

Lesson learned

Wie können wir dieser Entwicklung entgegenwirken? Es scheint, als wäre der einzige nachhaltige Weg die integrale Mentalhygiene.

Sie setzt zunächst einen möglichst gesunden Körper voraus z.B. natürliche Umwelt mit reiner Luft, stressarmen Tagesabläufen, gesunder Ernährung, ausreichender Bewegung für ein gut funktionierendes Koronar- und Lymphsystem und einer effektiv arbeitende Skelettmuskulatur.

Aus den Ergebnissen kognitiver Forschung ist der Grundsatz entstanden:

„Aus den Informationen, die man in jedem Augenblick aufnimmt, entsteht die Person, die man in Zukunft sein wird“

Damit wir wieder mehr unser Fokusdenken trainieren, müssen wir darauf achten, dass wir möglichst nur Informationen mit einem persönlichen Nutzwert konsumieren. Sollte sie nützlich sein, aber sich nicht mit bestehendem Wissen verknüpfen lassen, hilft unserem Denktraining die Anreicherung durch Hintergrundinformationen bzw. Kontext.

Im Gegensatz bedeutet es aber auch den Verzicht auf die Dopamin-Kicks durch emotional aufbereitete Nachrichten, Werbung, Videos. Sie verändern unsere Persönlichkeit, verschlingen unsere Lebenszeit und verhindern nachhaltiges Denken für gute persönliche Entscheidungen. Eine Umstellung bedeutet, sich auf einen neuen Tagesablauf einlassen zu müssen (Entzug). Die Fokus-Zeiten (Zeitraum zum Bearbeiten einer einzelnen Aufgabe) sollte möglichst Ablenkungs- und Smartphone- bzw. Internetfrei gestaltet sein.  Für den restlichen Zeitraum könnte man sich auf die persönlich nützlichen Informationsquellen einigen und Zeiten einplanen für den Aufbau von Hintergrund Wissen. Zu jeder Zeit ist eine Medienberieselung zu vermeiden.

Innovationsmanagement

Meine Aufgabe war es bisher Innovationsgruppen zu helfen, selbst organisiert und agil zu werden und zu bleiben. Mittlerweile helfe ich dem Team zusätzlich, sich einen eigenen Rahmen zu entwickeln, um nie das große Ziel aus den Augen zu verlieren und fokussiert zu bleiben.

Mir fallen spontan einige Kriterien ein, nach denen ein neues Produkt zu Beginn abgeklopft werden sollte:

  • Allgemeiner Nutzen und Mehrwert für Menschen (Akzeptanz)
  • Nutzen und Mehrwert für den Kunden (Marktpotential)
  • Transparenter Footprint der Erzeugung (insb. CO2/bzw. Energie)
  • Nachhaltigkeit von verwendeten Materialien, Recyclingfähigkeit
  • Verbesserung eines bestehenden Produktes vs. disruptiver Entwicklung
  • Mechanische, elektrische und digitale Sicherheit
  • Nutzung von Normen und mögliche Zertifizierungen
  • Risiko: Kosten, Preis, Finanzierung

Aus solchen oder ähnlichen zusammengetragenen Punkten entwickeln wir dann eine grafische Übersicht (z.B. Mindmap), an die man die zunehmende Detaillierung der Innovation anknüpfen kann. Dadurch können wir trotz Fokus auf ein Detail den gesamten Kontext immer im Auge behalten.