Kurz gefasst
Interessanterweise werden zur Auswahl von Personal immer noch persönliche Interviews durchgeführt, entgegen der Ratschläge aus der Wissenschaft.
In dem Moment, indem wir einer Person begegnen, setzt bei uns automatisch ein unbewusstes Bewertungssystem mit vielen kognitiven Verzerrungen ein. Es hat sich im Laufe der Jahre in unserem Gehirn auf Basis unserer Erfahrungen gebildet, die wir in unserer eigenen kleinen Welt gesammelt haben. Wir versuchen völlig unbewusst einzuordnen, ob unser Gegenüber zu unserer Welt passt oder nicht.
Ein Interviewer kann deshalb keine neutrale Kandidatenentscheidung fällen. Das verhindert häufig die Einstellung von optimal geeigneten Kandidaten weil sie den eigenen Vorstellungen nicht entsprechen.
Fazit
Die Qualifikation eines Mitarbeiters sollte sich im Vorfeld ausschließlich auf messbare Größen stützen, die innerhalb größerer Zeiträume entstanden sind. Entscheidungsträger sollten die Kandidaten vor der Entscheidung nicht zu Gesicht bekommen und auch kein Foto zur Verfügung haben. In einem Vorort-Meeting könnten zunächst neutrale Bedingungen hergestellt werden.
Unternehmen, die sich von den Fesseln ihrer eigenen Vorstellungen befreit haben sind häufig überrascht, welche interessanten Mitarbeiter man im Laufe der Zeit rekrutieren kann. Durch sie kann sich eine Company viel schneller an Märkte anpassen und die Produktivität von Teams schnellt in die Höhe.
Wissenschaftliche Grundlagen
Ein Mensch kann keine unbeeinflusste Entscheidung fällen. Die kognitiven Verzerrungen sind schon lange erforscht und es werden immer neue entdeckt: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_kognitiven_Verzerrungen
Darunter befinden für den Interviewer fatale Zerrbilder wie:
Die Neigung
- Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen.
- eine empfundene Emotion als Beweis für eine Annahme zu betrachten.
Die Tendenz
- sich für unbeeinflusst zu halten.
- inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen.
- der Bevorzugung des Status quo gegenüber Veränderungen.
Die Überschätzung
- des eigenen Könnens und eigener Kompetenzen.
Verzerrungen
- die der Aufrechterhaltung eines positiven konsistenten Selbstbildes dienen.
Schon seit den 70zigern des letzten Jahrhunderts gibt es intensive Forschung, häufig mit dem Ergebnis, dass eine menschliche Entscheidung sehr schädlich für ein Unternehmen sein kann, besonders bei Interviews.
Wie stark das Aussehen ausschlaggebend ist wurde in dieser Studie belegt:
Looks do matter in job interviews, according to new study
Wie stark die Gruppe der nacheinander befragten Wettbewerber und nicht der einzelne Kandidat in die Entscheidung einfließt wurde hier untersucht:
Want to ace that interview? Make sure your strongest competition is interviewed on a different day
Kulturelle oder ethnische Prägungen lassen sich nicht unterdrücken. Das wurde unter anderem z.B. bei homosexuellen Kandidaten belegt:
Employers less likely to interview openly gay men for job openings in certain parts of U.S.
Sehr intelligente oder ängstliche Menschen neigen häufig dazu, ihre Antworten vorsichtig und langsam vorzutragen. Schon das führt häufig zu einer Absage:
Interview blues: Anxious, slow talkers often do not get the job
Die produktivsten Teams haben verschiedene Qualifikationen und unterschiedliche Charaktere, die sich gegenseitig ergänzen (siehe „Ein neuer Weg des Arbeitens“). Ein Job-Interview reduziert die Vielfalt. Deshalb fehlt es uns im Unternehmensalltag an Transformierungsfähigkeiten und Exzellenzen. Diese wertvollen Menschen machen sich selbstständig, gehen ins Ausland oder passen sich an und bleiben unter ihren Möglichkeiten.
Der Ausweg
Es gibt keine perfekte aber viele nützliche Methoden, um diesem Dilemma zu begegnen. Hier ein Beispiel:
Dazu werden die Kandidaten, die sich über ihre berufliche Qualifikation (CV) qualifiziert haben, zu einem Meeting eingeladen. Hier warten neutrale identische Aufgaben und Fragen auf die Kandidaten, die sie von einer unbeteiligten Person ausgehändigt bekommen. Die Ergebnisse werden über ein vorher festgelegtes Bewertungsschema in Punkte umgewandelt und den Entscheidungsträgern vorgelegt, ohne dass sie die Kandidaten zu Gesicht bekommen. Bei dieser Einladung können auch die Fragen der Kandidaten zum Unternehmen beantwortet oder der zukünftige Arbeitsplatz in Augenschein genommen werden.
Man hat damit begonnen, künstlich intelligente System einzusetzen, die die Kandidaten bei der Beantwortung von Fragen beobachten oder sogar ein Skype-Interview durchführen. Achtung, die Qualität dieser Systeme hängt stark von den Trainingsdaten und dem Belohnungsalgorithmus ab, deshalb könnte auch hier die Gefahr von Einheitlichkeit implementiert worden sein. Das Verhalten des Systems sollte vorher mit extremen Kandidaten getestet worden sein.