Thinking

Vor wenigen Jahren bekamen wir einen Auftrag für eine hoch komplexe technische Software. Wie üblich werden für solche mehrjährigen Projekte unterschiedliche Experten angeheuert. Sie sollten idealerweise als Team zusammen wachsen und sich schrittweise einem zufriedenstellenden Ergebnis nähern.

Wir hatten das Glück, Menschen zu rekrutieren, die aus unterschiedlichen Kulturen (Asien, Afrika, Europa) stammten, sehr unterschiedliche Charaktere und Fähigkeiten besaßen aber auch unterschiedliche Geschlechter hatten. Vorab sei verraten, dass sowohl die Projektarbeit hoch produktiv war als auch das spätere Produkt ein großer Erfolg wurde. Wie kann es gelingen, bei einer so bunt gemischten Gruppe die Potentiale der Einzelnen zu entfalten und ein herausragendes, gemeinsames Ziel zu erreichen?

Eine Anzahl von Personen, die zum ersten Mal aufeinander trifft, benötigt etwas Zeit, um sich kennen zu lernen, sich auf die unterschiedlichen Charaktere einzustellen. Wir benutzen dafür gewöhnlich die Zielsetzung des Projektes. Jedes Team-Member skizziert zunächst schriftlich auf mehreren Moderationskarten, wie die Zielsetzung verstanden wurde und welche Vorgehensweise zur Realisierung für sinnvoll gehalten wird. Die Ergebnisse werden der Reihe nach vorgestellt und sichtbar aufgehängt. Vielleicht lassen sich Themen strukturieren oder zusammenfassen, dazu können die Karten einfach umgehängt werden. Die entstandene visuelle Konstruktion ist dann die Grundlage für eine erste lockere Diskussion. Die Art und Weise, wie bei der Diskussion miteinander umgegangen wird, lässt Rückschlüsse zu auf Unterschiede in Wahrnehmung, Denken oder Kommunikation.

Deshalb versuchen wir die Kenntnisse darüber anzugleichen, bevor wir mit der eigentlichen Aufgabe beginnen. Das hat sich bei vorhergehenden Projekten als sehr hilfreich erwiesen. Wer verstanden hat, wie verzerrt wir Menschen die Realität mit unserem Denkapparat wahrnehmen, kann schnell lernen sich auf die erstaunlich nützlichen Funktionalitäten zu konzentrieren. Denn ein Projektergebnis entsteht immer aus den Denkleistungen von mehreren Personen, es geht darum das maximale kognitive Potential aller Beteiligten freizusetzen!

Wahrnehmen

Wahrnehmung

Im ersten Schritt ist es wichtig, die eigene Wahrnehmung zu verstehen. Darauf baut unsere gesamte Erfahrung auf und beeinflusst jede Entscheidung. Bei der Projektarbeit versuchen wir, die Wahrnehmung jedes Einzelnen zu erweitern. Wenn man sich seiner Sinne mehr bewusst wird und versucht seine Aufmerksamkeit zu erweitern, öffnet man sein persönliches „Modell der Realität“ für neue Eindrücke und Gedanken.

Wie Studien z.B. von Carol Dweck gezeigt haben, sind innovative Ideen nur mit einer offenen Einstellung, einem „Open Mind“ oder „Growth Mind-Set“ möglich!

Hinweis: Wenn die Brauchbarkeit des Modells in unserem Kopf von den hineingestopften sensorischen Informationen abhängig ist, lässt sie sich mit Praktizieren von Mental-Hygiene verbessern. Man lernt emotionale Nachrichten zu unterdrücken und nützliches Wissen anzureichern.

Wie funktioniert Denken

Denken

In unserem Leben dreht sich alles um die Art wie wir denken. Zuständig dafür ist unser Gehirn, das Organ mit dem größten Energiebedarf. Es bestimmt, wer man ist.

Obwohl sich das Gehirn mit jeder neuen Information verändert, vermittelt es den Anschein, man hätte ein dauerhaftes „Ich“, eine Persönlichkeit.

Das menschliche Gehirn ist das Komplexeste was wir in unserem gesamten Universum kennen, deshalb ist es so einzigartig und so wichtig.

Alle Erfahrungen, die man von seiner Geburt bis heute über seine Sinne wie Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten erlebt hat, bilden ein einzigartiges Geflecht von Speicherstellen und Verbindungen. Für einen kombinierten Sinneseindruck gilt: je höher der emotionale Reiz oder die Ähnlichkeit und Aktualität zu vorangegangenen Informationen, umso mehr werden die Verbindungswege zwischen den Neuronen verstärkt und die Schwellenwerte der Neuronen verfeinert.

Die elektrischen Impulse unserer einzelnen Sinne gelangen zunächst in dafür spezialisierte Areale des Gehirns und werden dort bewertet. Der größte Teil der Informationen wird als nicht relevant herausgefiltert, der Rest wird vor verarbeitet und weitergeleitet. Sie werden mit dem bereits vorhandenen Modell der Realität verglichen, emotional gewichtet und zu einem Gesamtbild zusammengefügt.

Mit diesen Erkenntnissen versucht unser Gehirn jeweils den nächsten Augenblick vorherzusagen. Das Modell der eigenen Realität besteht vorwiegend aus Objekten bzw. Subjekten und Beziehungen zwischen ihnen. Sie sind aus evolutionären Gründen so gewichtet, dass sie uns das Überleben sichern. Das alles läuft meistens unbewusst ab, doch hin und wieder wird uns diese simulierte Zukunft bewusst.

Unsere mentalen Prozesse bestehen aus Wahrnehmung, Gedächtnis und Emotionen, die sich permanent gegenseitig beeinflussen. Daraus entsteht im Laufe des Lebens eine ganz individuelle Vorstellung der Realität, eine Art Modell auch von sich selbst.

Unterbewusstsein

UnterbewusstseinDer überwiegende Teil des täglichen Denkens ist stark verzerrt und findet unbewusst aber sehr schnell und energiesparend statt. Synchron feuernde Netze bahnen sich blitzschnell ihren Weg, daraus besteht etwa 90% des Gehirns. Auch alle Impulse, die ins Bewusstsein gelangen, stammen zunächst aus dem Unterbewusstsein. Aufgrund der starken emotionalen Beeinflussung wird es als „Hot System“ bezeichnet und Daniel Kahneman nennt es System 1.

Das was uns zuerst im Kopf herumgeht, entspringt unserer kleinen emotional gewichteten Erfahrungswelt und stimmt nur in sehr kleinen Teilen mit einer neutralen Realität überein. In der frühen Geschichte unserer Vorfahren funktionierte es ganz gut, um sich vor Raubtieren zu schützen oder Nahrung zu suchen. In der heutigen, komplexen Welt ist das „Hot-System“ für aufwendigere Entscheidungen ein äußerst schlechter Ratgeber.

Bewusstsein

BewusstseinSinneswahrnehmungen oder unbewusste Denkimpulse, die nicht herausgefiltert wurden und nicht schon unbewusst zu einer Reaktion des Körpers geführt haben, landen für gewöhnlich im präfrontalen Kortex. In diesem Bereich des Gehirns entsteht Bewusstsein. Hier finden Vergleichs- Berechnungs- und Bewertungsleistungen, situationsangemessene Handlungssteuerung oder Regulation emotionaler Prozesse statt. Aufgrund der rationalen Arbeitsweise wird es als „Cool System“ bezeichnet und Daniel Kahneman nennt es System 2.

Für diese Leistungen sind viele iterative Prozesse notwendig, die viel Zeit und deutlich mehr Energie benötigen, als das Unterbewusstsein. Die Nutzung kostet immer eine Anstrengung. Doch bei gutem Training dieses Bereiches und ausreichendem Grundwissen bekommt man dafür aber eine deutlich bessere Entscheidungsqualität, besonders bei komplizierten Problemen.

Eigener Wille

In unzähligen Experimenten wurde gezeigt, dass wir der Illusion eines freien Willens unterliegen. Spontane Ideen oder emotionale Reaktionen entstehen völlig unbewusst. Doch mit Hilfe eines trainierten Bewusstseins, dem System 2, haben wir durchaus die Möglichkeit, diese unbewussten Impulse zu kontrollieren.

Der moderne Mensch

modern humanWir sind noch nicht der moderne Mensch, den uns unser Bewusstsein glauben lässt, wir sind nicht mal nah dran. Doch wir haben aufgrund der unglaublichen Plastizität unseres Gehirns das Potential dazu. Vielleicht gelingt es uns in der Zukunft es ausschöpfen?

Was nutzt das Wissen über unsere Gedanken?

Fragt man einen Leistungssportler, wie er es schafft, sich ständig zu verbessern, so lautet die Antwort: länger und gezielter trainieren! Das überrascht wenig. Fragt man jedoch einen intellektuellen Menschen, wie er es schafft, sein Leben ständig zu verbessern, so erscheint die Antwort für viele unerwartet: länger, gezielter lernen! Lernen ist die Aufnahme von Wissen durch Verknüpfung von Neuem mit Bestehendem. Daraus entwickelt sich das Verstehen. Wer viel versteht, trifft gute Entscheidungen. Daraus wachsen erfolgreiche Handlungen, die schließlich die Übernahme von Verantwortung ermöglichen. Das „Cool System“ lässt sich durch Aufnahme von Wissen trainieren wie eine Muskel.

Wer damit begonnen hat sein Bewusstsein zu schärfen, kann sein emotional verzerrtes Unterbewusstsein besser kontrollieren. Das steigert bei der Projektarbeit die Qualität des Zuhörens und fachlicher Äußerungen.

In diese Richtung geschulte, selbst organisierte Teams setzen üblicherweise Entscheidungswerkzeuge ein, um Verzerrungen weitestgehend zu neutralisieren. Sie dokumentieren Sachverhalte, die im Konsens festgelegt wurden. Daraus entsteht ein nachvollziehbarer Projektverlauf der jederzeit von allen Stakeholdern eingesehen werden kann.